von Jakob Engel und Manuela Mehrwald

Das Leben in Großstädten wird weltweit künftig nicht mehr dasselbe sein. Betrachten wir Frankfurt, ist davon auszugehen, dass die klimatischen Bedingungen im Jahr 2050 den aktuellen von San Marino gleichen werden. Wie können sich Stadtgesellschaften den neuen klimatischen und zugleich sozialen Herausforderungen stellen? Wo können wir zusammenkommen für ein gemeinsames Denken und Handeln, das es braucht, um auf diese Entwicklungen reagieren zu können?

Die städtische Öffentlichkeit braucht Orte, die diesen neuen Bedürfnissen entgegenkommen. Orte, an denen wir uns treffen, verweilen, austauschen und ausrichten können. Orte, die einen gemeinsamen Diskurs fördern, der die Veränderungen, die uns bevorstehen, diskutiert. Orte also, die zu öffentlichen Laboren werden, in denen wir einen klimagerechten und sozialen Umgang erproben können.

Allein in Deutschland gibt es 150 öffentlich getragene Theater, 220 private Theater und zwei Dutzend Produktionshäuser. Hinzu kommen bis zu 80 Opernhäuser — fast so viele, wie im gesamten Rest der Welt. Einige davon könnte man als exklusive Kultur-Ruinen bezeichnen. Diese zum Teil vollklimatisierten Häuser, werden sich jetzt die Frage stellen müssen: wie sie ihre Betriebe klimagerecht umgestalten, wie sie klimaneutral produzieren können und wie sie Ihre Häuser grundlegend einer breiten Öffentlichkeit zunutze machen können.

Anstoß dafür können uns theoretische Ansätze liefern, wie die Gedankenexperimente des Philosophen Bruno Latour, oder wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Anthropologin Anna Tsing. Bruno Latour weitet in seinen Abhandlungen die soziale Frage hin zu einer geo-sozialen und geo-politischen Frage aus. Was bedeutet, dass politische sowie gesellschaftliche Entscheidungen nicht mehr unabhängig von geowissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden können. Somit unterscheidet er zwischen der Erde, auf der wir leben und der Erde, von der wir leben. Entgegen der ikonisch behafteten Vorstellung auf einem blauen Planeten namens Erde zu leben, richtet Latour unser Bewusstsein auf die kritischen Zonen, in denen wir uns befinden. Wir leben kontaktlos zur Erde und dessen Bedürfnisse sowie im Widerspruch stehend mit den politischen und gesellschaftlichen Strukturen. Anna Tsings Abhandlung „Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in Ruinen des Kapitalismus“ richtet unseren Blick auf die uns von der Moderne geprägte Umgebung — zum Beispiel des architektonischen, ökologischen, strukturellen Ursprungs. Sie plädiert dafür jene nicht bloß als zerstört und endgültig zu betrachten. Wie Pilze, die sich an kontaminierten Orten ihren Lebensweg bahnen, schlägt sie vor, dass auch wir versuchen neue Lebensformen zu entwickeln. Und somit zu einem Leben mit den Ruinen des Kapitalismus finden. Eine Strategie, die versucht uns im Sinne Latours der Erde näher zu bringen — terrestrisch zu werden innerhalb der kritischen Zonen, die vielfältig kontaminiert sind. 

Wir brauchen einen neuen Raumvertrag. Eine Neuverhandlung, welche menschliche sowie nicht-menschliche Akteure und ökologische Konstellationen berücksichtigt. Vor dem Hintergrund wachsender politischer Gräben und zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheiten müssen wir anfangen uns Räume vorzustellen. Solche Räume, in denen wir generationsübergreifend und inklusiv zusammenkommen können.

Warum sind Theater beispielsweise nicht ganztägig geöffnet? Ein per Definition öffentlicher Ort, also ein Ort der gerade durch eine Öffentlichkeit geprägt ist. Das könnte bedeuten, dass es, außer den Büros und den Lagern, keine rein exklusiven Räumlichkeiten mehr gibt. Die Gründe für Menschen sich in einem solchen Theater aufzuhalten, könnten vielfältig sein: Sie könnten sich hier versammeln, bilden, aber auch essen, trinken, spielen, arbeiten, gärtnern und Theater, Musik, Literatur, Performance oder Kino schauen, oder einfach verweilen. Der Ort könnte in der Wahrnehmung der Menschen mehr einem überdachten Garten, als einem exklusiven Kulturpalast gleichen. Ein Garten, der Diversität verinnerlicht und lebt, und die Aufarbeitung struktureller Diskriminierung in Institutionen, als Teil klimagerechten Werdens versteht. Somit könnte die Benutzung des Gebäudes eine Klimaneutralität sowohl strukturell abbilden, als auch in eine neue kulturelle Praxis überführen.

„Living with Ruins” im Rahmen des Naturtheater Naxos versteht sich als Auftakt, Theater neu zu denken und zu verhandeln. Ganz im Sinne der Biologin Donna Haraways, die betont: „wir werden miteinander oder wir werden gar nicht” — machen oder schauen wir nicht länger nur Theater: Wir werden Theater.