It matters what thoughts think thoughts.
It matters what knowledges know knowledges.
It matters what relations relate relations.
It matters what worlds world worlds.
It matters what stories tell stories. [1]
Es ist der Geruch. Der Geruch, der dir in die Nase steigt. Beißt und dich zusammenziehen lässt. Alarmierend. Penetrant. Wissentlich der Ort sollte betretbar sein. Und dennoch hält er dich kurz auf. Und dennoch schiebst du den Gedanken wieder fort. Denn mit der Zeit, scheint der Geruch zu schwinden. Auch wenn ein Kopfziehen bleibt, versuchst du jenes zu ignorieren. Dabei ist es gerade dieser eine Moment, in dem der Boden zu dir spricht. Er zieht in dein Inneres und du überriechst ihn. Es ist eine ehemalige Industriehalle, selbstredend riecht alles danach! — Problem erkannt, Problem gelöst. Wenn du es dir jedoch erlaubst bei dem Irritationsmoment zu bleiben, den Boden anzuschauen, ihn anzuhören — magst du verwundert sein, was er dir erzählt.
Du stehst inmitten eines traumatisierten Ortes mit einer verletzten Materialität. Es ist nicht allein die Tatsache, dass das Holz unter deinen Füßen durchtränkt ist von Schwermetallölen. Es sind die unzähligen Geschichten, die diesen Ort prägen. Angefangen von der gewaltvollen Übernahme und Ausbeutung durch die Nazis. [2] Über den letztlichen Stillstand der Produktion. Hin zur Euphorie von Theatermenschen, willentlich den Ort wiederzubeleben — wissentlich, dass die Halle auch von ihnen einen besonderen Umgang erfordert.
Und wenn wir noch tiefer in die Materie einsteigen könnten, mit einem Filter über unseren Augen, der uns erlauben würde unser Umfeld wie die Künstlerin Shoshanah Dubiner wahrzunehmen (siehe Abb. 1), würden wir auf den Boden blickend erkennen, wie Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen — parallel zu all diesen sozialen Geschichten — ihre eigenen Erzählungen dynamisch kreieren. Unaufhaltsam durchdringen sie einander, schlingen sich umeinander und durcheinander, fressen sich gegenseitig, bekommen Verdauungsstörungen, teilweise verdauend, teilweise assimilierend; und bilden so sympoietische Arrangements, die auch als Zellen, Organismen und ökologische Assemblagen bekannt sind. [3] Und auch sie wurden in ihrem miteinander Werden und Vergehen beeinflusst worden sein. Von der Kontamination des Bodens, verursacht durch den Menschen selbst.
Storytelling ist eine Form des Denkens. Es bedeutet, sich auf die Suche zu begeben. Den Zusammenhängen nachzugehen. Sich mit Unangenehmem zu konfrontieren. Sich den Traumata zu stellen — im Allgemeinen, als auch in dieser besonderen Situation. Unruhig bleiben — um es in den Worten Donna Haraways zu sagen. Geschehenes ist nicht mehr rückgängig zu machen. Ebenso wenig ist es zu ignorieren, wie der Geruch des kontaminierten Bodens uns deutlich zu verstehen gibt. Doch was wäre ein möglicher Umgang? Ein Überleben zwischen all den Ambivalenzen, die uns tagtäglich umgeben?
Gewohnte, festgefahrene Muster zu verlassen, wie der Anthropozentrismus, welcher uns eine menschenzentrierte Perspektive aufzwingt, mag anfänglich etwas ungewöhnlich sein. Es erfordert einen Perspektivwechsel — weg von meiner eigenen menschlichen Position, hin zu einer polyzentrischen Perspektive und der Vielschichtigkeit an Verbindungen, zu menschlichen sowie nichtmenschlichen Wesen. Organisches und Nichtorganisches ist nicht hierarchisch miteinander verwoben. Verflechtungen von Menschlichem und Nichtmenschlichem sind komplex. Die begriffene Verstrickung, ein sich selbst Wahrnehmen als Netzwerk, hilft uns zu verstehen, dass wir für die Umwelt offene, poröse Entitäten sind und mit unseren Körpern im ständigen Austausch stehen.
Einmal vergegenwärtigt, eröffnet sich ein Spektrum an Sichtweisen und Narrationen. Die Theoretikerin Donna Haraway ist überzeugt: „We need other kinds of stories.“ [4] Sie fordert uns auf, andere Geschichten zu erzählen, aus denen ersichtlich wird, dass der Mensch ein Teil der Verwobenheit der Arten ist. Er befindet sich in einer Abhängigkeit von und zu ihnen. Mehr noch, das Überleben des Menschen auf der beschädigten Erde, hängt von den Beziehungen zu anderen Akteuren der Umwelt ab.
Daher lädt Haraway dazu ein sich in ein (Gedanken)Spiel zu begeben, um den Ursprung unserer Urteile über die Welt zu hinterfragen. Diese Form des Denkens imaginiert sie als „Fadenspiele“ [5]. Andere Denker*innen, wie Timothy Morton, bezeichnen das (Gedanken)Spiel als „ökologisches Denken“ [6]. Karen Barad spricht von „Verschränkungen der Dinge“ [7]. Anna Tsing beschreibt es als „Spurensuche“ [8].
Was genau bedeutet es ökologisch, verschränkt, spurensuchend, fadenspielend zu denken?
Statt in Ursachen und Wirkungen zu denken, werden Gedanken also in Anschlüssen und Beziehungen entwickelt. [9] Wir müssen lernen ständig zu hinterfragen und zurückzuverfolgen, woher die Dinge kommen und wohin sie gelangen. Es geht um Loops, die uns einholen, in einem ständigen hin und her. Unaufhaltsam. Unumkehrbar. Der Abfall kommt schließlich zurück, und mit ihm kommen Schwermetalle, Hormone, Mikroplastik, Antibiotika, wie Yvonne Volkert aufmerksam macht. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. [10]
Ähnlich wie Ökolog*innen und Pilzforscher*innen die Rolle von Pilzen in der Balanceherstellung des Bodens preisen und von einer Heilung der Welt durch ihre Lebenstätigkeit sprechen, kann man Donna Haraway und Anna Lowenhaupt-Tsing folgend eine Analogie in der Umgestaltung und Rettung der Welt, durch das Umdenken der Beziehungen ziehen. Als Konnektoren und Symbionten, aber auch als Zersetzer toter Materie, verkörpern Pilze eine wichtige Rolle im Netzwerk der Ressourcen und der schöpferischen Transformationsprozesse.
Nach Tsing sind Pilze Weltenbauer, die für sich und andere mehrere Umwelten erschaffen. [11] Pilze werden nicht umsonst Pioniere des Lebens [12] genannt, da sie Grundlage für pflanzliches Leben schaffen, indem sie Gestein mineralisieren und daraus Boden hervorbringen. Ihre Symbiose mit Algen wird zum biologischen Urknall [13] und bereitete das Leben der ersten Pflanzen vor. Überlebensstrategien, die sie im Laufe der Evolution bewahrt haben, noch lange Zeit vor dem Menschen, geben uns Hoffnung in Krisenzeiten. Pilze tauchen in zerstörten Landschaften auf, wenn sonst alle gängigen Systeme außer Kraft gesetzt werden.
Tsing vollzieht über dieses Wissen einen vitalistisch-sozialen Transfer, indem sie auf das soziale Miteinander verweist, das nur in Form von Kollaborationen erfolgen kann. Erstaunlicherweise schafft sie es darüber den Begriff der Kontamination sprachlich zu enttoxifizieren. Sie erklärt, dass Kollaboration bedeutet, trotz der Unterschiede zusammenzuwirken. Im Zusammenwirken hinterlassen wir Spuren bei unserem jeweiligen Gegenüber. Diesen Vorgang beschreibt Tsing als Kontamination. Sie schlussfolgert, dass diese Kontamination notwendig ist, denn ohne das Zusammenwirken, ohne Kollaboration, sterben wir alle. [14]
Haraway führt den Begriff der Sympoiesis (Sym: zusammen, Poiesis: Machen) ein und setzt ihm den Begriff der Autopoiesis (von griech. „Selbstherstellung“) entgegen — als ein mehr gelungenes Beschreibungsmodell, unserer Welt von vernetzten Lebewesen. [15] Sympoiesis steht für „kollektiv produzierende Systeme, die über keine selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen verfügen.“ [16] Jede Art entwickelt sich in ständiger Interaktion mit anderen Arten. Kein Lebewesen organisiert sich selbst. Jedes Lebewesen ist auf die Mithilfe anderer angewiesen, was bedeutet Lebewesen konstituieren sich im gegenseitigen Mit-Werden. [17]
Beide Autorinnen plädieren gegen den Anthropozentrismus. Statt der Fortschrittshuldigung, schlägt Tsing ein kollaboratives Überleben und Haraway ein Modell des Mit — Werdens vor. Haraway geht sogar noch einen Schritt weiter: Neben dem Zusammen-Werden, verweist sie auf das Zusammen-Sterben. Eine Naturzugehörigkeit.
Die Künstlerin Jae Rhim Lee veranschaulicht mit ihrem Kunstwerk Internal Burial Suit (seit 2008), das Zusammenwirken dieser Doppeldeutigkeit des miteinander Werdens und miteinander Vergehens. In ihrer künstlerischen Forschung thematisiert sie die ökologische Rolle der Pilze als Destruenten und entwickelt darüber eine alternative ökologische Begräbnisform. Während ihrer Recherchen fand die Bio-Designerin über das US-Zentrum für Seuchenkontrolle heraus, dass bei einem Begräbnis aus dem menschlichen Körper um die 219 Gifte, wie Tabakrückstände, Schwermetalle, Reinigungsmittel, Pestizide, Konservierungsstoffe und viele mehr in die Umwelt gelangen. Bei einer Einäscherung in Krematorien sind es um die 50 Kilo CO2, die ausgestoßen werden. [18]
Lees Werk stellt einen Vorschlag dar, wie mithilfe von Pilzen eine Mykoredimediation erfolgen könnte, um darüber eine ähnliche Balance-Herstellung zu gewährleisten, wie im natürlichen ökologischen Kreislauf vorgesehen. Sie fertigte dafür einen Spezialanzug an (siehe Abb. 2), der aus Baumwolle und einem patentierten Biomix aus Pilzen hergestellt wird. Dieser Biomix sorgt dafür, die aus dem toten Körper austretenden Giftstoffe zu absorbieren und zu eliminieren. Konkret bedeutet das, der Pilz zersetzt den Körper, ohne dass Giftstoffe ins Ökosystem gelangen. [19]
Internal Burial Suit demonstriert: Der Mensch ist Teil eines komplexen Systems. Wir sind eingebunden in die Performance des Entstehens und des dahin Schreitens, und wir sind nicht allein. Sich das darin enthaltene relationale Selbstverständnis zu vergegenwärtigen, ist essentiell für das Überleben unserer gesamten Kultur. Und das ist der Grund dafür, warum es öffentliche Orte braucht, an denen künstlerische sowie wissenschaftliche Forschungen Hand in Hand gehen und über kollektive Erlebnisse zu Erkenntnissen führen können. Fragend, wie wir miteinander Leben und Sterben wollen, um weiterhin leben und sterben zu können.
„Das ist der Punkt, an dem der Bereich der Kunst, der am Rand des Privaten und der Geschichte balanciert, zu einem Ort wird, an dem man mit Erfahrungen am Rand des Anthropozentrischen, wo die Trümmer liegen, experimentieren und eine fantasievolle Gesellschaft aufbauen kann, in der das Menschliche nicht im Mittelpunkt unserer Kosmologie steht, sondern nur ein Element im Einklang mit allen belebten und unbelebten Weltenmachern ist, darunter auch traumatisierte Menschen und Objekte.“ [20]
Wenn wir zurück auf unseren Boden blicken, stellen wir fest, dass wir nicht rückgängig machen können, was geschehen ist. Aber wir können mithilfe der Bewusstwerdung über die Geschichte des Bodens und dessen Verstrickungen ein alternatives Handeln im Miteinander entwickeln. Der Soziologe Bruno Latour hält uns dazu an, terrestrisch zu werden, was bedeutet einen gemeinsamen Grund zu schaffen, um ein (Über)leben zu ebnen. Diese Aufgabe kann jedoch nur kollektiv und mit einer Vielzahl von Stimmen und Akteuren — menschlichen wie nicht-menschlichen — bewältigt werden. [21]
Gleichzeitig sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass es ein Privileg ist sich zu bilden, Wissen anzueignen und eigene Gedanken zu entwickeln. Ebenso ist es nicht allen Menschen möglich, sich mit traumatischen Situationen zu befassen. Ein Grund mehr dafür, warum ein Miteinander und die gegenseitige Unterstützung, von so großer Bedeutung ist und warum wir darum bemüht sein sollten, eine gemeinsame Sprache für Unausgesprochenes zu entwickeln.
Den penetranten Bodengeruch in unseren Nasenlöchern spürend, wollen wir nicht länger sprachlose und benommene Zeug*innen von Konflikten sein. Wir wollen unsere vergessen geglaubte, verdrängte Naturzugehörigkeit zurückgewinnen. Uns aktivieren. Unsere Zugehörigkeit anerkennen und uns erden. Wie Latour sagt:
„Die Zugehörigkeit zur Welt ist nicht heilbar.
Aber wenn man sich Mühe gibt, kann man sich vom Glauben heilen,
dass man nicht dazugehört.” [22]
Referenzen
[1] Vgl. Haraway Donna Jeanne: Staying With the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham, 2016, p. 35.
[2] Vgl. M’Barek, Yasmine: Wider das Vergessen. In: faz.net, aktualisiert am 16.09.2020
[3] Vgl. Haraway, 2016, S. 58.
[4] Film Donna Haraway: Story Telling for Earthly Survival. Fabrizio Terranova, Italien/USA 2016, https://earthlysurvival.org/
[5] Haraway, 2016.
[6] Morton, Timothy: Dunkle Ökologie. Für eine Logik zukünftiger Koexistenz. NY, 2016.
[7] Barad, Karen: Verschränkungen. Merve Verlag Berlin, 2016.
[8] Lowenhaupt-Tsing, Anna: Der Pilz am Ende der Welt. Berlin, 2018.
[9] Volkert, Yvonne: Kunst und Ökologie im Zeitalter der Technosphere, In: Marcus Maeder (Hg.) Kunst, Wissenschaft, Natur. Zur Ästhetik und Epistemologie der künstlerisch-wissenschaftlichen Naturbeobachtung, Bielefeld 2017, S. 169-197, hier: S. 174-175.
[10] Ebd.
[11] Vgl. Lowenhaupt-Tsing, Anna: Der Pilz am Ende der Welt, Berlin 2018, S.192.
[12] Film Im Königreich der Pilze, Dokumentation Screen Australia und Telefilm Canada, Regie: Annamária Tálas, arte 2017, 7:46-9:08/52:15, verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=tH7U-Nbxg0s
[13] Ebd., 9:12-13:30/52:15.
[14] Lowenhaupt-Tsing, 2018, S. 45.
[15] Haraway, 2016, S. 58.
[16] Ebd., S. 51.
[17] Ebd., 85-86.
[18] Riebe, Meike: Pilze sorgen für ökologische Bestattung: Der Infinity Burial Suit macht Öko Bestattungen möglich, In: Ecowoman. The Green Side of Life
[19] Cube Design Museum: Nature. Cooper Hewitt Smithsonial Museum, Design Triennial, organisiert mit Cube Design Museum Kerkrade 2019, S.30.
[20] Vgl. Christov Bakargiev, Carolyn: Über die Zerstörung von Kunst — Oder Konflikt und Kunst, oder Trauma und die Kunst der Heilung. Ostfildern 2011, S.16.
[21] Vgl. Field Book: Critical Zones. Ausstellung im ZKM, kuratiert von Bruno Latour und Peter Weibel, vom 23.05.2020–09.01.2022.
[22] Vgl. Latour, Bruno: Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das neue Klimaregime. Berlin, 2017, S. 30.