Im Rahmen des Projektes „Living with Ruins” im Naturtheater Naxos entwickelten wir eine architektonische Vision für eine klimaneutrale Gestaltung der Naxoshalle in Frankfurt. Die Halle ist weder beheizt, noch isoliert und die Luft ist durchsetzt von einem strengen Schweröl Geruch — da der alte Fabrikboden PAK (Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe) kontaminiert ist. Somit stand die Frage nach dem Licht, der Wärme und der Luftqualität im Vordergrund unserer Modellentwicklung. Eine Entsorgung des Bodens wäre sehr kostspielig und ökologisch fragwürdig, da der Abfall bestenfalls in ein großes Loch, außerhalb der Stadt, verschwinden würde. Die toxischen Substanzen würden den Ort wechseln, jedoch wären sie noch immer da. Als Reaktion auf diesen Sachverhalt sieht unser Entwurf vor, mittels speziell ausgewählter Pflanzen, und entsprechender Pilz-Organismen, eine langfristige Entgiftung des Bodens zu erreichen. Arthur de Buren spricht im folgenden Gespräch mit dem Landschaftsarchitekten François Vadepied von Wagon-Landscaping über die Idee einer Detoxifizierung der Naxoshalle sowie über seine Praxis, welche die (Re-)Naturalisierung von urbanen und industriellen Böden umfasst.


ARTHUR: Das Projekt „Living with Ruins“ ist ein Forschungs- und Laborprojekt in einer Industriehalle in Frankfurt, die als Theater genutzt wird und kontaminiert ist. Wir wollen diesen Ort als Modell für neue Formen des Zusammenlebens im Anthropozän und die mögliche Schaffung eines neuen Klimas nutzen. Allianzen mit der Pflanzenwelt könnten diesbezüglich von großem Interesse sein. Heutzutage geht es bei der Bodensanierung vor allem darum, die Verschmutzung zu verlagern und durch sauberen Boden zu ersetzen. Bei deiner Arbeit hast du bereits mehrfach Erde zum Leben erweckt, die tot oder unbeweglich schien. Kannst du uns sagen, was einen Boden für dich lebendig macht? Was ist das für dich, ein verseuchter Boden? Hat der Begriff der Kontamination auch eine Bedeutung für deine Arbeit?


FRANÇOIS: Als wir anfingen uns mit dem Thema Boden, Stadtboden und Industrieboden zu beschäftigen, gingen wir von der Idee aus, dass es im Boden Stoffe gibt, die inert sind. Das können Steine, Ziegelsteine oder Ähnliches sein, welche die Umsetzung der natürlichen Dynamik nicht verhindert. Du musst keinen sehr lockeren Boden haben, um Pflanzen zu setzen. Wir dachten von Anfang an, dass vielleicht ein großer Teil der bereits vorhandenen Dinge im Boden bleiben könnten, anstatt anderswohin exportiert zu werden. Das stört weder die Entwicklung der Pflanze, noch würde es dessen Dynamik beeinträchtigen. Denn diese Materialien interagieren relativ wenig mit dem lebenden Boden. Das war also der erste Gedanke. 
Wir sprechen seit dem viel über Techno-Böden, also Böden, die künstlich geschaffen werden müssen. Da Böden manchmal mehrere tausend Jahre oder sogar hunderttausende Jahre brauchen, um sich zu einem natürlichen Boden zu entwickeln. Aber mit Techno-Böden, können wir in gewisser Weise damit beginnen, einen Boden aus verschiedenen Materialien zu schaffen. Ein Boden, der in der Lage ist, eine neue natürliche Dynamik aufzunehmen und sich — von Beginn an funktionsfähig — weiterzuentwickeln.

Am Anfang haben wir dafür viele Materialien mitgebracht. Aber je weiter wir vorankamen, desto mehr haben wir gemerkt, dass wir durch die Wiederverwertung von möglichst viel Vorhandenem eine natürliche Dynamik aufbauen und erneut Pflanzen anbauen können. Vorausgesetzt, wir wählen die richtige Pflanzenpalette. Denn wir sehen, dass es bestimmte Pflanzen gibt, die sich auf dieser Art von Boden viel besser entwickeln können. Sie bringen Leben in den Boden und bereiten den zukünftigen Boden für andere Pflanzen vor. Hier sprechen wir also von Pflanzendynamik, d.h. wir haben einen Boden, der neu geschaffen wird und ein Wachstum für andere Pflanzen, welche ursprünglich nicht in der Erde hätten entstehen können, ebnet.

Zur Kontamination: Bis jetzt waren wir noch nie in sehr verschmutzten Gebieten. Wir mussten uns bis jetzt nicht allzu sehr mit diesen Themen beschäftigen, weil wir nicht mit Böden für die Lebensmittelproduktion gearbeitet haben. Die Erfahrungen, die wir jedoch gemacht haben: Wir haben noch nie Pflanzen gesehen, die gestorben sind. Im Gegenteil. 


Die Dekontaminierung stark verschmutzter Böden, insbesondere mit PAK, ist jedoch noch Gegenstand der Forschung. Vielleicht könnten Pilze diese Prozesse begleiten. Es ist sehr wichtig, einen Raum zu belüften, in dem der Boden Gase ausstößt. Bodenrevitalisierung und Vegetation allein werden das Problem nicht lösen. 


ARTHUR: Toter Boden ist also etwas, das es fast nicht gibt, weil er immer wieder neu belebt werden kann? 


FRANÇOIS: Ja, man kann tote Erde immer irgendwie wiederbeleben. Das Schlimmste ist, dass Böden oft sehr verdichtet sind. Das ist es, was den Boden zerstört. Aufgrund der Verdichtung gibt es keinen Wasser- und Flächentransfer. Der Boden erstickt. Es gibt bestimmte Pflanzen, die Pioniere sind, sehr spezifisch sind und anfangen können, diese Art von Böden zu erobern. Auch wenn wir auf diesen toten Böden nichts tun. Es würde immer noch eine Dynamik in Gang kommen. Aber es würde viel länger dauern, bis Pflanzen es schaffen würden diese Böden zu durchbrechen und ihre Fruchtbarkeit wiederherzustellen. In gewisser Weise beschleunigen wir diese Dynamiken.  


Mit anderen Worten: Wir arbeiten, indem wir die Schichten dekompaktieren — im Sinne von auflockern — um die Materialien daraufhin zu sortieren und darüber neue Horizonte zu schaffen. Es geht darum, die Materialien aus den verschiedenen Schichten zu sortieren, aus denen der Boden entstanden ist. Oft wurden Materialien verwendet, um den Boden zu härten und abzudichten. Danach mischen wir all das zusammen und ergänzen es mit einigen Bodenverbesserern, um der Erde ein bisschen Leben einzuhauchen und eine neue Dynamik zu entfachen. Im Anschluss legen wir eine Mulchschicht darauf. Dadurch wird die Verdunstung von Wasser eingeschränkt. Dieser Mulch kann ebenfalls aus Materialien hergestellt werden, die wir vor Ort zurückgewonnen haben. Somit beschleunigen wir den Prozess. 


ARTHUR: Und wie entwickelt sich dann dieser Boden weiter?


FRANÇOIS: Dann kommt es zu einer langwierigen Phase, die wir bisher nicht untersucht haben. Wir wissen nicht, wie schnell sich die Pilze, Mikroorganismen, die Fauna und  Mikrofauna im Boden entwickeln — die sind extrem wichtig. Nach einem Jahr, 10 Jahren, 20 Jahren oder sogar länger, erholt sich der Boden mit ihrer Hilfe. Wir haben keine Messungen, die das belegen, aber wir haben den Eindruck, dass sich der Boden, auf eine bestimmte Art und Weise, recht schnell erneuert. Manchmal helfen wir ein wenig nach, indem wir Mykorrhizapilze einbringen, um sie wiederzubeleben. Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt nötig ist, denn wenn wir die Pflanzen einbringen, bringen sie sicher auch ihre eigenen Pilze mit, die in ihrem Becher waren. Die Besiedlung findet also trotzdem statt. Und wir hoffen, dass wir mit den Pflanzen auch ein paar Regenwürmer einbringen, damit der Boden zusätzlich mit Lebewesen besiedelt wird.


ARTHUR:  Gibt es Pflanzen, die besonders geeignet sind, um gerade in einem ruinösen Kontext zu leben? 


FRANÇOIS: Ja, es gibt solche Pflanzen, sogenannte Ruderalpflanzen. Ruderalpflanzen sind genau die Pflanzen, die du in einem verlassenen Haus findest oder in alten Ruinen. Es zeigt sich also, dass es eine Anpassung der Pflanzen an von Menschen verlassene Räume gibt. Und es wird ebenfalls deutlich, dass Pflanzen Räume  zurückfordern, die der Mensch oft beschädigt hat. Das war ihre ursprüngliche Aufgabe, als das Leben aus dem Meer auftauchte, um das Land zu erobern und Boden zu schaffen. Eine unserer Aufgaben ist es, genau diese Art von Ruinengärten zu pflegen. Es geht darum, Raum für genau diese Pflanzen zu lassen, die sich auf den Jahrtausende alten Ruinen angesiedelt haben, damit sich jede individuell ausdrücken und weiterleben kann.


ARTHUR: Was hältst du von unserem Vorschlag Pflanzen in diese alte Industriebrache zu bringen? 


FRANÇOIS: Wenn es eine Art natürliches Funktionieren dieses Innenraums gäbe, das die Nutzungen, die ihr einrichten wollt, nicht verhindern würde, wäre das interessant. Oft gibt es in den Ruinen spontane Ereignisse, die sehr überraschend sind. Beispielsweise ein Wasserleck. Da war ein kleines Stück Boden, das kahl war und dann passierte etwas. Es gab genug Licht, um in der Ruine etwas passieren zu lassen. Es ist vielleicht ein wenig gezwungen, diese Spontaneität in euren Überlegungen einzubringen, aber versucht trotzdem an dieser Sache zu arbeiten. Überlegt, wie diese Prozesse sich schließlich an die Möglichkeiten der Ruine anpassen, um diese Vegetation im Inneren der Halle einzurichten.


ARTHUR: Nun ist die Naxoshalle ein Theater. Welchen Einfluss hat das auf unser Vorhaben und welche letzten Gedanken möchtest du uns mitgeben?


FRANÇOIS: Es ist nicht einfach, im Laufe der Zeit das Gleichgewicht zwischen diesen verschiedenen Nutzungen und der Dauerhaftigkeit des Gebäudes zu halten. 


Deshalb erfordert euer Vorschlag eine sehr genaue Beobachtung des Ortes, und zwar zu verschiedenen Jahreszeiten. Besonders bezüglich der sich verändernden Lichtverhältnisse. Du musst wissen, dass LEDs heutzutage nicht mehr teuer sind und sehr wenig Energie verbrauchen. Sie können auch als Back-up eingesetzt werden. Es gibt Lampen, die speziell für Gewächshäuser gemacht sind. Sie haben eine ausreichend hohe Lichtstärke, um den Raum zumindest für ein paar Stunden am Tag mit einem Minimum an Licht zu versorgen. Der Stromverbrauch ist jedoch jetzt viel niedriger als vorher. Außerdem bringt diese Beleuchtung eine ganz besondere Atmosphäre mit sich. Ein Aspekt, der auch für euch von hohem künstlerischem Interesse sein könnte.

ARTHUR DE BUREN
Arthur ist Teil des künstlerischen Teams um „Living with Ruins“. In seiner architektonischen Arbeit erforscht er Möglichkeiten des Zusammenlebens in einer bedrohten Umwelt. Neben dem Bau kollektiver Wohnprojekte, arbeitet er häufig mit Darstellenden Künstler*innen und dem Theater zusammen, um neue Arten von Beziehungen zu nicht-menschlichen Lebewesen zu beschreiben. Er ist Mitglied des Architektur Kollektivs ARGE.CO, das in Zürich und Lausanne tätig ist. Außerdem ist er Teil des Netzwerks SPEAP, welches mit und um Bruno Latour versucht, mithilfe verschiedener künstlerischer und wissenschaftlicher Ansätze, Umwelt neu zu beschreiben.

 

WAGON-LANDSCAPING
Wagon Landscaping ist eine Agentur, die 2010 von den beiden Landschaftsarchitekten, Mathieu Gontier und François Vadepied gegründet wurde. In ihren Projekten befassen sie sich mit der Umgestaltung von Böden, die als unbepflanzbar gelten könnten — wie beispielsweise ruinöse Orte oder asphaltierte Parkplätze. Ihr Anliegen besteht darin das jeweilige Umfeld gründlich zu erforschen und mit so wenig künstlichen Eingriffen wie möglich, Pflanzen eine ökologische Grundlage zu schaffen und sie in ihrer eigenen Dynamik zu unterstützen.

Interview: 27. Januar 2021